Der riesige russische Poseidon-Torpedo hat bei vielen Experten für Kopfschütteln gesorgt, weil das Einsatzszenario dieser Waffe so abwegig ist – sie könnte nach einem globalen Atomkrieg eingesetzt werden, um das zu zerstören, was nach den Atomschlägen noch übrig ist ("Belgorod" – Putin stellt seine Waffe für den Weltuntergang in Dienst).
Chinesische Wissenschaftler haben sich das Konzept angesehen und eine kleinere und kostengünstigere Version hergestellt. Ihr Super-Torpedo – genau genommen handelt es sich um eine Unterwasserdrohne – wird von einem atomaren Einweg-Reaktor angetrieben. Er soll dem Torpedo eine Reichweite von 10.000 Kilometern verschaffen. Das entspricht in etwa der einer Interkontinentalrakete – nur dass der Torpedo weit langsamer ist. Um den Pazifik zu durchqueren, wird er etwa eine Woche brauchen.
Durch die geringere Größe kann die Waffe von fast jedem U-Boot oder Kriegsschiff aus gestartet werden, schreibt die SCMP. Die Mini-Version des Poseidons kann von einem Standard-Torpedorohr abgefeuert werden. Die Reisegeschwindigkeit liegt bei über 30 Knoten (56 km/h), das System nutzt also nicht den Effekt der Superkavitation, um höhere Geschwindigkeiten unter Wasser zu erreichen. Kurz vor dem Ziel wird der Reaktor abgeworfen, der Torpedo wird dann mit einem Akku betrieben und startet seine Angriffswaffen.
Der leitende Wissenschaftler Guo Jian vom Chinesischen Institut für Atomenergie erklärt den Unterschied zwischen dem chinesischen Entwurf und dem russischen Poseidon. "Dank seiner hohen Flexibilität und geringen Kosten kann dieses unbemannte Unterwasserfahrzeug, das mit einem nuklearen Antriebssystem ausgestattet ist, als konventionelle Streitkraft wie ein Angriffs-U-Boot und nicht wie eine Atomrakete eingesetzt werden." Guo sagte, in China bestehe ein wachsender Bedarf an kleinen unbemannten Unterwasserfahrzeugen mit hoher Geschwindigkeit und großer Reichweite, die zur Aufklärung, zum Aufspüren, zum Angriff und für strategische Angriffe eingesetzt werden können.
Um ein neues Kernkraftsystem mit "ausgereifter und einfacher Technologie, die leicht zu bedienen und zu warten, kostengünstig und für die Massenproduktion geeignet ist, zu bauen, müssen wir über den Tellerrand schauen", so Guo. Der Tellerrand bezieht sich auf die Einweg-Philosophie des Reaktors, dafür wurden teure Materialien und aufwendige Technik, die für einen Dauerbetrieb notwendig sind, weggelassen. Typisch für die chinesische Rüstung ist auch der Plan, weitestgehend handelsübliche zivile Komponenten zu benutzen, anstatt aufwendig eigene zu entwickeln.
Erklärtes Ziel ist eine Billigwaffe, die in Serie hergestellt wird und im Falle eines Konflikts in Schwärmen operiert. Der ganze Reaktor soll kaum mehr als 150 Kilogramm wiegen und wird mit 4 kKilogramm Uranbrennstoff versehen. Der Wirkungsgrad ist unterirdisch, er liegt bei nur sechs Prozent – für die Aufgabe reicht das aber aus. "Wenn die Herstellungskosten niedrig genug sind, werden die Gesamtkosten niedrig sein, selbst wenn das nuklearbetriebene Gerät nur einmal verwendet werden kann."
Da das Gerät nur einmal gestartet wird, sind vor der Zündung keine besonderen Schutzmaßnahmen wegen der Strahlung nötig. Sobald der Reaktor abgeworfen wird, wird die Kettenreaktion unterbunden. Bauartbedingt kann es keine unkontrollierte Reaktion geben, der strahlende Reaktor würde allerdings als radioaktiver Müll am Meeresgrund bleiben. Bei dem Projekt handelt es sich nicht um eine Atomwaffe der letzten Stunde, dennoch dürften diese Torpedos wohl nur bei einer großen militärischen Konfrontation eingesetzt werden – sodass der Restmüll das geringste Problem der Menschheit wäre.
Die eigentliche Aufgabe des Torpedos bleibt unklar. Putins Poseidon soll vor den Küsten des Gegners einen künstlichen Tsunami auslösen. Die Waffe hat also ein klares Ziel, das sich nicht bewegt. Der China-Torpedo hingegen ist keine strategische Waffe. Wenn er ein militärisches Objekt treffen soll, muss er kommunizieren können, um sein Ziel zu finden.
"Belgorod" – Putin stellt seine Waffe für den Weltuntergang in Dienst
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